Wenn die Eisenbahn nicht mehr fahren will…

Wenn die Eisenbahn nicht mehr fahren will…

Wenn die Eisenbahn streikt (nicht der Lokführer, die GDL oder sonst wer) und nicht mehr weiterfahren kann, ist der Lokführer erstmal im Krisenmodus.

Warum ich euch das schreibe? Weil es mir letztens passiert ist. Die Situation: Eine Verstärker S1 (der S-Bahn Dresden) von Meißen Triebischtal nach Pirna, Planbespannung mit einer E-Lok der BR 143 und zwei Doppelstockwagen. Bis zur Ankunft in Heidenau Süd war alles gut. Zug abgefertigt, Türen zu, Geschwindigkeitswähler auf ca. 100 km/h. RUMMS. Da war der Hauptschalter draußen. Der Zug rollte leicht. Also wieder einbremsen, der Bahnsteig ist ja noch neben mir.
Und nun? Es gibt eine überschaubare Menge an Bedienhandlungen, die im Notfall die Fahrt wieder möglich machen. Jedoch vergönnte mir meine Lok den Erfolg. Es wurde absehbar, dass das Problem doch umfangreicher war. Kurzum: Fahrdienstleiter (Herr der Signale und Weichen) informieren, dass nun erstmal ein Zug auf der freien Strecke das Richtungsgleis Heidenau -> Pirna belegt und nicht weiterfahren wird. Das ist im ersten Moment besonders wichtig, damit folgende Züge nicht auflaufen, sondern bereits am vorherigen Bahnhof über Weichenverbindung auf das zweite Streckengleis geleitet werden können. Zweiter Schritt: Die Fahrgäste über die Störung informieren und in diesem Fall die alternativen Fahrtmöglichkeiten vom anderen Gleis anbieten, dort kann, wenn auch mit eingeschränkter Kapazität, der Zugverkehr aufrecht gehalten werden. Auf einen Zugbegleiter konnte ich in jenem Fall nicht zurückgreifen. Während ich mich an die Störungsbehebung machte, rief mich bereits meine zuständige Transportleitung an. Der Fahrdienstleiter hätte sie informiert, dass ich ne Störung hätte. Ich bestätigte und gab den aktuellen Stand meiner Arbeit durch und informierte vorab: Haltet ein Hilfsfahrzeug zum Abschleppen bereit.

Die Minuten vergingen, ich ging verschiedene Abhilfemaßnahmen aus der Fahrzeugmappe durch, ohne Erfolg. Auch verschiedene Maßnahmen, die ich aus eigener Erfahrung kenne oder über Kollegen erfahren habe, probierte ich aus. Ohne Erfolg. Ich informierte Leitstelle und Transportleitung, dass ich nicht mehr aus eigener Kraft die Strecke räumen kann und Unterstützung benötige. Da ich nach vielen erfolglosen Versuchen nun aufgeben musste, rüstete ich den Zug ab, denn eine Stromversorgung war ja nicht mehr gegeben. Lok und Wagen liefen ja nur noch auf Batterie.
Die Reisenden hatten meinen Zug bereits verlassen und mit den "überholenden" S-Bahnen ihre Fahrt, wenn auch mit Verspätung, fortgesetzt.

Während ich auf dem nur noch schwach frequentierten Bahnsteig neben meinem Zug, der sich aus eigener Kraft keinen Zentimeter mehr bewegen wollte, verweilte und auf meinen Abschleppdienst wartete, kam der kleine Lichtblick des Tages, der mir wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern sollte und die Laune heben konnte.
Eine junge Mutter betrat mit ihrem kleinen Sohn den Bahnsteig. Vom Steuerwagen aus konnte ich beobachten, wie ihr Sohn an der Lok für ein Foto posierte. Währenddessen konnte ich meine Hilfslok von Heidenau kommend heranfahren sehen. Mit der Leitstelle und dem Fahrdienstleiter war bereits besprochen worden, dass wir den defekten Zug als geschobene Sperrfahrt nach Pirna durchschieben und von dort als Leerfahrt in die Werkstatt überführen werden.
Während der Kollege mit der Hilfslok nur noch knapp 100 Meter entfernt am Signal stehend alle notwendigen Informationen vom Fahrdienstleiter fernmündlich am Zugfunk als Befehl diktiert bekam, bemerkte ich, wie die junge Mutter mit ihrem Sohn bereits hinter mir standen. Ich merkte wie etwas an meiner Warnweste ganz vorsichtig zupfte. Es war der kleine Mann, der hinter mir stand und mir einen Kinderschokolade-Riegel entgegenstreckte. "Als kleine Aufmunterung, wenn schon nicht alles nach Plan funktioniert", ließ mich die Mutter mit einem freundlichen Lächeln wissen, während sich ihr Junior schüchtern zu ihr zurückzog. Was denn passiert sei und was wir denn jetzt vorhätten, fragte sie mich. Interessiert hörte ihr Sohn zu, als ich erzählte, dass die Lok vorne, an der sie ein Foto gemacht hatten, nicht mehr fahren wollte. Dass der Kollege mit der zweiten Lok in Kürze an den Steuerwagen heranfahren wird, ich die Hilfslok mit meinem Schadzug kuppeln werde und wir nach einer Überprüfung der Bremse nach Pirna fahren werden.

Kurz später war auch schon die Hilfslok am Zug und gekuppelt. Ein paar letzte Absprachen und der liegengebliebene Zug konnte endlich die Strecke räumen.
Zugegeben, es war das erste Mal, dass ich einen Hilfszug benötigte und es war wiedereinmal Wissen aus dem Regelwerk gefordert, dass so gut wie nie angewendet wird, aber trotzdem sitzen muss und auch gerne in Fortbildungsunterrichten oder am Simulator trainiert wird.