Der 1. September
Für viele Jungeisenbahner und die, die schon länger dabei sind, ist der erste Werktag im September ein besonderer Tag. Heute ist der Tag, an dem die neuen Azubis ihre Schulzeit hinter sich lassen und nun mit ihrer beginnenden Ausbildung immer eigenständiger werden.
Für mich ist der 1. September kein besonderer Tag. Aber es wird Zeit einmal zurück zu blicken. Immerhin sitze ich beruflich fest im Sattel und habe noch nicht mal ansatzweise die Lust am Beruf verloren.
1.Oktober 2012
Richtig gelesen. Bald 8 Jahre ist es her. Das Abitur liegt bereits seit 5 Monaten hinter mir. In der Zwischenzeit habe ich auf 400€-Basis bei Radio gejobbt. Heute: Geht's nach Radebeul. Mein künftiger Ausbildungsbetrieb, die Deutsche Telekom AG, versammelt dort heute alle dualen Studenten für eine Einführungsveranstaltung. Die nächsten zwei Tage verbringe ich nun also vor den Toren der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Den Tag der Deutschen Einheit werde ich nochmal bei meinen Eltern verbringen, der letzte Tag Zuhause. Ab dem 04. Oktober werde ich nun bei München leben, in München arbeiten, in Leipzig studieren und in Stuttgart mit den Kollegen aus dem restlichen Bayern und Baden-Württemberg lernen.
Frühjahr 2014
Bin ich mit meinem dualen Studium noch zufrieden? Ehrlich gesagt nein. Das Studium überfordert mich. 8 Wochen Präsenzstudium in Leipzig und der Rest im Selbststudium oder als E-Learning sind für mich zu wenig. Mathe I und Mathe II überfordern mich. Mehrdimensionale Analysis ab der 4. Dimension, Matrizen, lineare Algebra verlassen mein Vorstellungsvermögen. Als die Zahlen komplex wurden und auf der Tastatur nicht mehr im Zahlen- sondern im Buchstabenblock lagen, war mein Verständnis für Mathematik komplett aufgebraucht. Die Prüfungen liegen mir im Nacken und es ist wahrscheinlich, dass eine Zwangsexmatrikulation wegen nicht bestandener Prüfungen drohen wird. Ein Plan B muss her. Hier half mir Vitamin B. 😉 Da die Exmatrikulation den Vertrag über das duale Studium bei der Telekom auflöst, musste ein neuer Ausbildungsvertrag her und so ging es mit lediglich zwei Wochen "Zwangsurlaub" weiter.
1.September 2014
Azubieinführungsveranstaltung. In München. Ich lerne die anderen Azubis kennen. Vor allem die Fachinformatiker, mit denen ich die nächsten zweieinhalb Jahre die Berufsschule besuchen werde. Nun also Fachinformatiker Systemintegration. Mit anderen Worten: Das, was während der Schulzeit alle von mir erwartet hatten.
Spätsommer 2016
Das Ende der Ausbildung rückt näher. Die Abschlussprüfungen für die Verkürzer, welche die Ausbildung bereits nach 2½ Jahren statt nach der Regelausbildungszeit von 3 Jahren abschließen, stehen vor der Tür. Die Prüfungsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Alte IHK-Prüfungen werden gepaukt. Das Abschlussprojekt legt man sich schon bereit, man macht sich Gedanken wie es nach der Ausbildung weitergehen soll. Übernahmegarantien gibt es keine. Der interne Stellenmarkt ist überschaubar und bietet nichts Interessantes, was auf meine Qualifikation passt. Eine Zukunft im T-Konzern? Sehe ich für mich eh nicht. Zu viel Stellenabbau habe ich in den 4 Jahren miterleben dürfen. Außerdem stelle ich mir selbst die wichtigste Frage: Habe ich denn noch Lust auf diesen Berufszweig? Nicht so wirklich, war die Antwort auf die ich reichlich lang hin überlegt habe. Aber was ist die Alternative? Mir kam mein Kindheitstraum in den Sinn: Lokführer. Als bewarb ich mich. Nicht für den EiB, den Eisenbahner im Betriebsdienst, der 3-Jährigen Berufsausbildung, sondern für die Funktionsausbildung, die den Lokführer in 9 bis 12 Monaten versprach. Eine Entscheidung die mir nicht leicht fiel. Mir war bewusst, dass die Funktionsausbildung nicht den Umfang haben würde, wie eine EiB-Ausbildung und allein deswegen hätte ich den EiB sogar favorisiert. Allerdings standen dem die finanziellen Einbußen und auch die lange, zu überbrückende Zeit entgegen. Denn immerhin sollte ich im Januar, spätestens Februar von den Prüfern mitgeteilt bekommen, ob ich meine Abschlussprüfung als Fachinformatiker Systemintegration bestanden habe, oder nicht. Die Zeit bis zum September zu überbrücken und dann nochmal beim Gehalt eines Azubis anzufangen, das wäre vermutlich in einem finanziellen Desaster geendet. Aber auch die Wunschvorstellung Lokführer zu werden sollte schneller Enden, als ich mir vorstellen konnte. Nach gerade einmal zwei Wochen nachdem ich meine Bewerbung abgesendet hatte, bekam ich eine Antwort von der Deutschen Bahn. Es war wieder einer dieser Tage, an dem ich mit meinen Kollegen im Ausbildungszentrum saß und alte IHK-Prüfungen durcharbeitete. Um kurz nach 9 Uhr trudelte die E-Mail auf meinem Handy ein. Es ist diese klassische automatische E-Mail, die mir nicht mehr sagt, als dass es ein Schreiben für mich gibt und im Anhang eine PDF-Datei. Aber auch die sollte nichts gutes bedeuten. Nachdem ich sie öffnete und die Betreffzeile las, rutschte mir das Herz in die Hose. Man müsse mir leider mitteilen, dass es geeignetere Kandidaten geben würde. Das hatte gesessen. Aber so leicht wollte ich nicht aufgeben. Im Schreiben war eine Telefonnummer und ein Ansprechpartner vermerkt. Nachdem ich also den ersten Schrecken runtergeschluckt hatte, nahm ich mir mein Handy, wählte die Nummer und wurde mit jedem "Tuuuuut" vom Freizeichen nervöser. Als das Gespräch endlich entgegen genommen wurde, konnte ich dem Herren, vermutlich hörbar aufgewühlt, mein Anliegen erklären. Nachdem mein Gesprächspartner kurz in seinem Computer nachschaute, kam die erleichternde Nachricht: Diese E-Mail sollte nie versendet werden, es handle sich hierbei um einen Fehler. Ich sei weiterhin "im Rennen".
Herbst 2016
Die Prüfungen sind abgelegt und bestanden, das Abschlussprojekt eingereicht und genehmigt. Das Projekt war auch schon abgearbeitet, dokumentiert und eingereicht. Es musste nur noch präsentiert werden. Der Termin dafür war nach dem Jahreswechsel gegen Ende Januar angesetzt. Es ist sogar ein Kundenprojekt geworden und musste nicht ein Laborprojekt werden, um überhaupt etwas vorweisen zu können. In der Zwischenzeit hatte ich bereits ein Bewerbungsgespräch bei NTT. Dort war man von mir überzeugt und bot mir eine Stelle als Junior IT Security Consultant DACH an. Mit Dienstwagen, Home Office und allem was man sich vorstellen mag. Der Vertrag sollte nach den Weihnachtsfeiertagen und dem Jahreswechsel ausgearbeitet und zugestellt werden, da der Prüfungstermin noch einige Zeit hin ist, gab es ja keinen Grund zur Eile. Nur von der Deutschen Bahn hab ich noch nichts gehört. Das verwunderte mich. Also rief ich an. Vielleicht konnte man mir erklären, warum in dem Bewerbungsverfahren nichts vorwärts geht. Am Telefon also erfuhr ich nun, dass ich eine Bedingung für die Stelle noch nicht erfülle. Die Funktionsausbildung zum Triebfahrzeugführer bei der Deutschen Bahn setzt eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus. Man hätte wohl schon Bewerbern trotzdem Zusagen geschickt, musste aber dabei schlechte Erfahrungen machen. Um aber keine Plätze für potentielle Bewerber mehr zu blockieren, sah man nun davon ab. Ich möge mich bitte in Geduld üben und man würde sich freuen, wenn ich mich nochmal melden würde, sobald ich die Ausbildung erfolgreich absolviert habe.
Ende Januar 2017
Die Prüfung ist bestanden. Ich habe gerade das Gebäude der Berufsschule verlassen. Es ist Mittagszeit. Der Vertrag von NTT ist kürzlich angekommen. Ich habe ihn gelesen. Aber nicht unterschrieben. Zum März war der Beginn vereinbart worden. Ich griff zum Handy. Ich rief allerdings weder meine Eltern, oder meinen Ausbilder als erstes an, sondern den Recruiter bei der Deutschen Bahn. Ich informierte ihn, dass ich soeben die Prüfung bestanden hätte. Das Bewerbungsverfahren würde nun weiter gehen, man würde sich melden und es dauerte auch nicht lang. Eine Woche später saß ich schon beim persönlichen Bewerbungsgespräch in der Richelstraße. Eine direkte Zusage sollte es nicht geben. Innerhalb der nächsten zwei Wochen wollte man sich per E-Mail melden. Ein Einstieg bei der DB Regio zum Wunschtermin März wäre allerdings nicht mehr möglich, dafür sei die Zeit zu kurz. Der Ausbildungsbeginn im Sommer wäre aber machbar. Ein Umstand, unter dem ich vielleicht doch bei NTT zusagen sollte und mit meinem Kindheitstraum abschließen sollte.
Doch keine Stunde später erhielt ich bereits eine E-Mail, in welcher mir gratuliert wurde, eine Runde weiter zu sein und ich nun zur ärztlichen Eignungsuntersuchung solle. Auch diese wurde erfolgreich abgeschlossen. Telefonisch fragte sogar die Personalerin des künftigen Arbeitgebers nach, wie die Eignungsuntersuchung gelaufen sei. Der Vertrag wurde ausgefertigt und zu meiner Freude auf den Arbeitsbeginn zum 1. März datiert.
Während sich heute die meisten meiner Kollegen an ihren Ausbildungsbeginn zurückerinnern, wird der 1. September nie so besonders sein. Dafür erinnere ich mich gerne an den 1. März und an den 12. Januar. Der 1. März weil damals im Jahr 2017 meine Ausbildung im beschaulichen Buchloe im Allgäu begann und an den 12. Januar, dem Tag, an welchem ich im Jahr 2018 meine Ausbildung zum Triebfahrzeugführer erfolgreich mit der Prüfungsfahrt von Augsburg Hbf nach Treuchtlingen beendete.