Nachts, wenn die Züge schlafen
Der geneigte Leser weiß vielleicht, dass ich als Lokführer bei der Deutschen Bahn im Personenverkehr tätig bin. Genauer im Regional- und S-Bahn-Verkehr in und um Dresden. Wenn ich über meine Arbeit erzähle, ist natürlich auch das Thema Arbeitszeiten immer präsent. Dabei wird gerne festgestellt: "Wenn du Nachtschicht hast, kannst du ja entspannt schlafen. Fährt ja Nachts eh nichts."
Wer bei der Eisenbahn arbeitet oder sich intensiver damit beschäftigt hat, der weiß: Nachts ist keineswegs Stillstand und an Schlafen ist erst recht nicht zu denken. Deswegen will ich jetzt mal Licht ins Dunkle bringen und nehme euch mit in meine Nachtschichten.
Zu Beginn einer Nachtschicht stehen meistens Zugfahrten. Unsere Nachtschichten beginnen zwischen 18 und 22 Uhr. Genau die richtige Zeit um die ersten Tag- und Spätschichtler in den wohlverdienten Feierabend zu schicken. Am frühen Abend sind aber noch längst nicht alle Züge abgefahren. Hier übernehme ich, je nach Schicht, den einen oder anderen Zug und fahre damit noch ein wenig durch die Gegend. Immer so, wie es der Dienstplan vorschreibt.
Irgendwann ist jedoch die Zeit gekommen, da ist der letzte Zug angekommen. Die letzten Spätschichtler haben ihre Züge an die Nachtschichten übergeben oder gebremst abgestellt, dass sich ein Nachtschichtler später darum kümmern kann.
Jeden Tag sind unsere Züge im Schnitt 16-20 Stunden im Einsatz. Im Jahr 2018 nutzt im Schnitt 42.000 Fahrgäste die Züge der S-Bahn Dresden. Da ist natürlich klar, dass die Züge nicht sauber bleiben. Schmutz von der Straße, Abfälle von Speisen und Getränken landen in den Zügen und den darin enthaltenen Mülleimern und manch Fahrgast folgt auch dem Ruf der Natur und sucht das stille Örtchen auf. Zumindest um die Böden, Oberflächen und Mülleimer können sich die Kollegen von der Bahnreinigung auch Untertags kümmern, damit auch der Reisende am Abend keinen vermüllten und verschmutzten Zug vorfinden muss.
Bevor am späten Abend, oder eher schon in der Nacht, die Züge für wenige Stunden schlafen dürfen, müssen einige Arbeiten erledigt werden. Damit auch am nächsten Tag die Toiletten genutzt werden können, werden die Abwasserbehälter geleert und das Brauchwasser zum spülen und Hände waschen nachgefüllt. Die Wagen werden gewischt, die Mülleimer geleert, die Toiletten gereinigt und Verschmutzungen beseitigt. Das alles macht die Bahnreinigung. Nur den Zug zur Entsorgungsanlage (dort, wo Abwasser abgepumpt und Brauchwasser gefüllt werden kann) bringen, das macht der Lokführer. Während die Bahnreinigung durch den Zug putzt, hat der Lokführer die Aufgabe den Zug zum Abstellplatz zu fahren und dort schlafen zu legen. Dabei wird vor allem die Lok auf Schäden geprüft und anschließend ausgeschaltet.
Wusstet ihr, dass die Nachtschichten auch genutzt werden, um wieder "Ordnung" zu schaffen, damit der nächste Betriebstag planmäßig starten kann? Gerade wenn größere Störungen am Tag aufgelaufen waren, stehen nicht unbedingt alle Züge dort, wo sie sein sollten. Wenn ein Zug nach einer bestimmten Zeit oder nach einer festgelegten Laufleistung in die Werkstatt muss, kann er nicht einfach so im Einsatz bleiben und später in die Werkstatt kommen. Auch Reisezugwagen mit Mängeln werden ausgetauscht. Dafür wird der Zug auseinander- und neu wieder zusammengebaut. Das kann, wenn der beschädigte Wagen in der Mitte des Zuges befindet, auch aufwändiger sein. So kann sich die Werkstatt um die Schäden kümmern, ohne das am nächsten Tag Sitz- und Stehplätze fehlen. Übrigens: Bei sicherheitsrelevanten Schäden wird ein Wagen direkt aus dem Betrieb genommen oder für den Reisenden abgesperrt und schnellstmöglich ersetzt, immer abhängig vom Schaden.
Falls der Bahnbetrieb normal und ohne besondere Vorkommnisse verlief, ist nach dem schlafenlegen der Züge erstmal Pause. Aber nicht zu lange. Denn bevor ein Zug wieder in den Betrieb gehen kann, muss er erstmal ordentlich durchgecheckt werden. Die Lok wird wieder eingeschaltet, ebenso wie der Steuerwagen.
Steuerwagen. Das ist der Wagen, der am anderen Ende, als die Lok, vom Zug hängt. Man kann ihn ungefähr mit einer großen Kabelfernbedienung vergleichen. Dort bekommt man die Betriebszustände der Lok angezeigt und kann diese aus der Ferne bedienen.
Auf Lok und im Führerstand vom Steuerwagen werden die verschiedenen Sicherheitseinrichtungen auf ordnungsgemäße Funktion getestet. Dann werden die Bremsen und Türen am Zug überprüft. Wenn dort alles so funktioniert, wie es soll, wird zuletzt noch der Zug innen kontrolliert. Wenn nichts beschädigt ist und auch im Innenraum alles seine Ordnung hat, kann der Zug in den Betrieb gehen. Pro Zug im Regionalverkehr kommen dabei gute 1 bis 2 Kilometer reiner Fußweg zusammen. Die durchgeführten Prüfarbeiten werden noch vor der ersten Zugfahrt notiert, damit auch die nächsten Kollegen wissen, dass dieser Zug ordentlich in Betrieb genommen worden ist.
In einer Nachtschicht macht man diese Zugvorbereitungen, genau so wie das Abstellen, nicht unbedingt nur an einem Zug, sondern an mehreren nacheinander.
Diese Züge übernehmen dann die Kollegen der Frühschicht und starten mit geputzten und geprüften Zügen in den den neuen Betriebstag. Für den Nachtschichtler gibt es dann höchstens noch einen Zug zum Heimatbahnhof zu fahren. Dort ist dann Feierabend und es wartet nur noch der Gang ins heimische Bett.